Nel­li­us – ein „über­zeug­ter Propagandakomponist”

3. Februar 2014
von Redaktion

Hoch­sauer­land. Arns­berg. Sundern.

Der Rat der Stadt Sun­dern muss in die­ser Woche über den Antrag einer Bür­ger­initia­ti­ve ent­schei­den, ein Bür­ger­be­geh­ren zur Abstim­mung zuzu­las­sen. Es geht dar­in um den Namen einer Stra­ße, die nach einem Kom­po­nis­ten namens Nel­li­us benannt ist. Nach­dem sich enge Ver­stri­ckun­gen die­ses Kom­po­nis­ten zum Nazi-Regime her­aus­stell­ten, hat­te der Rat der Stadt Sun­dern im letz­ten Jahr eine Umbe­nen­nung der Stra­ße beschlos­sen. Dage­gen reg­te sich Wider­stand, vor allem bei den Anliegern.

Bei allem Ver­ständ­nis für die Bei­be­hal­tung eines gewohn­ten Stra­ßen­na­mens, muss man sich aber immer ver­ge­gen­wär­ti­gen, wer hier durch den Stra­ßen­na­men geehrt wird. Peter Bür­ger und Wer­ner Neu­haus haben in Zusam­men­ar­beit mit Micha­el Gos­mann vom Stadt­ar­chiv Arns­berg nach umfang­rei­chen Recher­chen Ende Janu­ar eine detail­lier­te Stu­die vor­ge­legt, die hier nach­zu­le­sen ist.

Auf 121 Sei­ten kom­men sie u.a. zu fol­gen­den Ergebnissen:

Georg Nel­li­us stand bereits wäh­rend der frü­hen Wei­ma­rer Repu­blik in engem Kon­takt zu völ­kisch-anti­se­mi­ti­schen Krei­sen und Hit­ler-Ver­eh­rern im Sau­er­land. Beson­ders als Vor­sit­zen­der des – zuneh­mend und schließ­lich ein­deu­tig – natio­nal­so­zia­lis­tisch aus­ge­rich­te­ten „Sau­er­län­der Künst­ler­krei­ses“ war er in der Spät­pha­se der Wei­ma­rer Repu­blik einer der Steig­bü­gel­hal­ter des NS im Sau­er­land. Dies wur­de auch nach­weis­lich von der Nehei­mer NSDAP so gese­hen. Nel­li­us bezeugt u.a. schon in per­sön­li­chen Auf­zeich­nun­gen vom 6.12.1931 die Lek­tü­re von „Mein Kampf“ und sein vor­aus­ei­len­des Bekennt­nis zum „3. Rei­che und sei­nem bewun­der­ten Schmied Adolf Hitler“.

Aus der Zeit sei­ner Tätig­keit als Stu­di­en­rat und NS-Kul­tur­funk­tio­när in Her­ne (1933–1945) gibt es dann eine Fül­le schrift­li­cher Aus­sa­gen von Nel­li­us selbst, aber auch von Zeit­ge­nos­sen, die ein­deu­tig sei­ne Füh­rer­ver­herr­li­chung und ras­sis­tisch-anti­se­mi­ti­sche Grund­ein­stel­lung und Tätig­keit bele­gen… Die im His­to­ri­schen Cen­trum Hagen auf­be­wahr­ten Noten­hand­schrif­ten des Kom­po­nis­ten (bis 1944) wider­le­gen ein­deu­tig des­sen spä­te­re Behaup­tung, er habe in den 1930er Jah­ren ledig­lich unter Zwang eini­ge weni­ge sys­tem­kon­for­me Tex­te natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Dich­ter vertont.

Es trifft zu, dass Georg Nel­li­us im Sep­tem­ber 1948 in sei­nem letz­ten Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ver­fah­ren als soge­nann­ter Ent­las­te­ter in Kate­go­rie V ein­ge­stuft wor­den ist. Sei­ne Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ak­te in Düs­sel­dorf und sei­ne Per­so­nal­ak­te in Müns­ter ent­hal­ten jedoch zahl­rei­che Hin­wei­se, dass die­se „Ent­na­zi­fi­zie­rung“ auf höchst wider­sprüch­li­chen und teil­wei­se ein­deu­tig fal­schen Aus­sa­gen von Nel­li­us und der von ihm aus­ge­wähl­ten 43 Leu­munds­zeu­gen beruht. Die 1946 und 1947 durch­ge­führ­ten Ver­fah­ren, die ihn als „akti­ven Nazi“ cha­rak­te­ri­siert und in Kate­go­rie III ein­ge­ord­net haben, ent­spre­chen in weit­aus höhe­rem Maß den geschichts­wis­sen­schaft­lich fest­stell­ba­ren Sachverhalten.

Somit bleibt als durch zahl­rei­che Quel­len sicher beleg­tes Fazit: Georg Nel­li­us hat als Kom­po­nist, Diri­gent und Kul­tur­funk­tio­när wäh­rend der Wei­ma­rer Repu­blik und in der NS-Zeit wesent­li­che Bestand­tei­le der NS-Ideo­lo­gie bejaht; er hat über Jahr­zehn­te den „Füh­rer“ Adolf Hit­ler und des­sen Poli­tik durch sei­ne Kom­po­si­tio­nen und in Selbst­zeug­nis­sen ver­herr­licht; er hat, wie jetzt nach­zu­wei­sen ist, als Funk­ti­ons­trä­ger im Musik­we­sen der NS-Zeit eine ras­sis­ti­sche Juden­feind­schaft an den Tag gelegt und Chor­lei­tern nega­ti­ve Kon­se­quen­zen ange­droht, falls „jüdi­sche Musik“ nicht aus dem Pro­gramm genom­men würde.

Georg Nel­li­us gehört somit nicht zu den Per­sön­lich­kei­ten, die durch einen Stra­ßen­na­men öffent­lich geehrt wer­den kön­nen.

Wis­sen­schaft­li­che Unter­stüt­zung erhal­ten die drei Autoren durch Prof. Dr. Micha­el Cus­to­dis, den geschäfts­füh­ren­den Direk­tor des Insti­tuts für Musik­wis­sen­schaft und Musik­päd­ago­gik an der Uni­ver­si­tät Müns­ter. Sei­ne Stel­lung­nah­me ist im Blog ZOOM ver­öf­fent­licht. Eini­ge Auszüge:

“Die Erfah­run­gen mei­ner For­schun­gen decken sich mit den Ergeb­nis­sen Ihrer gründ­lich recher­chier­ten Stu­die… Dabei zeigt sich m.E. ganz ein­deu­tig, dass man es bei Georg Nel­li­us mit einem über­zeug­ten Anti­se­mi­ten und Natio­nal­so­zia­lis­ten der ers­ten Stun­de zu tun hat, der nicht nur in der Chor­ar­beit sehr agil war (die in der popu­lis­ti­schen Ziel­rich­tung des Drit­ten Rei­ches gro­ße Bedeu­tung hat­te) und als Päd­ago­ge die Indok­tri­nie­rung der Jugend nach Kräf­ten beför­der­te, son­dern vor allem als Künst­ler sei­ne Musik in den Dienst des NS-Staa­tes stellte… 

Wenn daher – wie im aktu­el­len Fall einer Dis­kus­si­on zur Umbe­nen­nung einer Nel­li­us-Stra­ße – die Ein­las­sun­gen einer Per­sön­lich­keit mit dem Drit­ten Reich zu bewer­ten sind, ist bei Georg Nel­li­us fest­zu­hal­ten, dass man es mit einem über­zeug­ten Pro­pa­gan­da­kom­po­nis­ten zu tun hat, der die Vor­lie­be der Natio­nal­so­zia­lis­ten für Volks­lie­der und Mär­sche nach Kräf­ten zu bedie­nen such­te und auch in sei­nen wei­te­ren, mit pro­gram­ma­ti­schen Tex­ten ver­se­he­nen Stü­cken kei­nen der ein­schlä­gi­gen, unmiss­ver­ständ­li­chen Topoi („Lan­ge­mark“, „Sieg Heil“; Hul­di­gung der Wehr­macht, Füh­rer­kult, Hel­den­ver­eh­rung, Sol­da­ten­ro­man­tik und Durch­hal­te­pa­ro­len nach der Schlacht von Sta­lin­grad) ausließ.

Dass Nel­li­us nach meh­re­ren Revi­sio­nen schließ­lich aus sei­nem Spruch­kam­mer­ver­fah­ren for­mal unbe­scha­det her­vor­ging, sagt dabei wenig aus über sei­ne tat­säch­li­chen Ver­stri­ckun­gen in das NS-Sys­tem, als viel mehr über die poli­ti­schen Zeit­um­stän­de bei der Über­ga­be der öffent­li­chen Kon­trol­le von den Alli­ier­ten in deut­sche Zuständigkeit…

Zusam­men­fas­send muss man sich dar­über im Kla­ren sein, dass die Ehrung einer Per­son durch einen Stra­ßen­na­men immer die gesam­te Per­sön­lich­keit ein­schließt. Im Wis­sen um die Ver­stri­ckun­gen von Georg Nel­li­us in den Natio­nal­so­zia­lis­mus muss man sich folg­lich bewusst machen, dass die­ser Stra­ßen­na­me einen gläu­bi­gen Natio­nal­so­zia­lis­ten und Anti­se­mi­ten ehrt, was man im Fall einer Bei­be­hal­tung des Stra­ßen­na­mens anschlie­ßend öffent­lich zu recht­fer­ti­gen hät­te. Im Jahr des tra­gi­schen Jubi­lä­ums eines ers­ten, 1914 von Deutsch­land aus­ge­gan­ge­nen Welt­kriegs und vor dem Hin­ter­grund der dar­aus ent­stan­de­nen töd­li­chen Kon­se­quen­zen für Mil­lio­nen NS-Opfer soll­te man die Ver­ant­wor­tung, die für unse­re Gegen­wart dar­aus ent­steht, daher wohl bedenken.”

Es wäre unver­ant­wort­lich und außer­dem ruf­schä­di­gend für das Sau­er­land, wenn nach all die­sen aktu­el­len Erkennt­nis­sen immer noch am Stra­ßen­na­men Nel­li­us fest­ge­hal­ten wür­de. Selbst­ver­ständ­lich ist das kein Grund, die Durch­füh­rung eines Bür­ger­be­geh­rens for­mell abzu­leh­nen, wenn die not­wen­di­ge Anzahl an Unter­stüt­zer­un­ter­schrif­ten vor­liegt. Wer es aber jetzt noch inhalt­lich unter­stützt, soll­te wis­sen, für wen er sich hier einsetzt.

Quel­le: Sau­er­län­der Bür­ger­lis­te (SBL)