Damit Geschichte ein Gesicht behält: Stolperstein für Josef August Senge in Meschede

Groß war das Interesse an der Verlegung des Stolpersteines in Meschede – neben Familienmitgliedern des ermordeten Josef August Senge waren auch Vertreter von Rat und Stadt Meschede und des Städtischen Gymnasiums dabei, als Künstler Gunter Demnig den goldfarbenen Pflasterstein mit einer Aufschrift verlegte. (Foto: Stadt Meschede)

Meschede. Geschichte ist nichts Abstraktes – es sind die Menschen, durch die Geschichte vor Ort ein Gesicht bekommt. Einer dieser Menschen ist Josef August Senge, der 1906 in Meschede geboren wurde. Sein kurzes Leben endet 1941 mit der Ermordung in einer NS-Tötungsanstalt im hessischen Hadamar. Nun erinnert ein Stolperstein an Josef August Senge.

Künstler Gunter Demnig verlegt Stolperstein

Der Künstler Gunter Demnig verlegte im Beisein von Dr. Franz-Josef Hücker aus Berlin, einem Neffen Josef August Senges, und Familienmitgliedern, Vertretern von Rat und Stadt Meschede die kleine metallene Gedenktafel vor dem Haus Überhenne Nr. 14 – dem letzten freiwillig gewählten Wohnsitz Senges. Bereits vor zehn Jahren hatte Gunter Demnig in Meschede Stolpersteine verlegt – damals für die jüdischen Bürgerinnen und Bürger, die nationalsozialistischem Terror ausgesetzt waren und verfolgt, deportiert und ermordet wurden.

Dr. Franz-Josef Hücker – Neffe von Josef August Senge

Dass nun ein weiterer Stolperstein dazu gekommen ist, ist vor allem das Verdienst von Dr. Franz-Josef Hücker: Er hat Leben und Schicksal seines Onkels untersucht und aufgearbeitet. Die Stolpersteine seien eine ganz besondere Art des Erinnerns und Gedenkens, so Gisela Bartsch, Leiterin des Fachbereichs Generationen, Bildung, Freizeit: „Jeder einzelne Stein steht für einen Menschen, ein Schicksal. Jeder Stein erzählt eine Geschichte und zusammen ergeben sie ein großes Mosaik, das an die Vergangenheit erinnert und der Opfer eines großen Unrechts gedenkt.“

Elf Stolpersteine hat der bekannte Künstler Gunter Demnig bereits im Jahr 2012 in Meschede verlegt. Seit dem Start des Projektes wurden über 75.000 Stolpersteine in mehr als 25 Ländern verlegt. (Foto: Stadt Meschede)

Organisierte Massen-Ermordung von Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung

Ein Unrecht, das Josef August Senge das Leben kostete. „T4“ – benannt nach der „Zentraldienststelle“ in der Berliner Tiergartentraße 4 – ist die Bezeichnung für die organisierte Massen-Ermordung von Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung. Allein in Hadamar fielen ihr zwischen 1941 und 1945 rund 14.500 Menschen zum Opfer – in der Gaskammer, durch tödliche Injektionen und Medikamente.

Josef August Senge wurde am 30. Mai 1906 als Sohn eines Fabrikarbeiters und einer Magd in Meschede geboren. Nach seiner Volksschulzeit arbeitete er, ebenso wie sein Vater, in einer Fabrik. 1928, im Alter von 22 Jahren, wurde Josef August Senge in die damalige „Provinzialheilanstalt Warstein“ eingewiesen. Die Diagnose: „ES – Einfache Seelenstörung“, eine damals übliche Bezeichnung für viele Arten von psychischen Erkrankungen.

Auf der einen Seite der Mensch, auf der anderen das Papier. „…dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankenzustandes der Gnadentod gewährt werden kann“ – so hieß es 1939 im so genannten „Euthanasie-Erlass“ Adolf Hitlers, der in der Folgezeit in ganz Europa das Schicksal von 200.000 bis 300.000 Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen besiegelte.

Dr. Franz-Josef Hücker: Spurensuche enthüllt Umstände der Ermordung Josef August Senges

Dr. Franz-Josef Hücker aus Berlin machte sich auf Spurensuche zu seinem Onkel Josef August Senge. Dabei recherchierte er in den Archiven des LWL Münster, der LWL-Klinik Warstein sowie des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte Münster und der psychiatrischen Landesheilanstalt Herborn, in der Gedenkstätte Hadamar, dem Hessischen Hauptstaatsarchiv, dem Bundesarchiv Berlin sowie in der Tötungsanstalt Schloss Hartheim in Österreich. Am 27. Juni 1941 wurde Josef August Senge in die Zwischenstation Herborn verlegt, am 17. Juli 1941 endete sein Leben in der Tötungsanstalt Hadamar. Die Ermordung der Opfer erfolgte nur Stunden nach der Ankunft in Hadamar in der dortigen Gaskammer. Für die Familie gab es einen „Trostbrief“ und eine Sterbeurkunde mit dem Vermerk, Josef August Senge sei an „Grippe mit Sepsis“ – also einer Blutvergiftung – gestorben.

Stolpersteine auch als fortwährende Aufgabe

Gisela Bartsch dankte Dr. Franz-Josef Hücker für seine Recherchearbeit und seinen Einsatz, mit einem Stolperstein das Leben und Schicksal seines Onkels nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Ebenso dankte sie dem Bürgerverein „Alte Synagoge“, der mit einer Spende die Verlegung des Stolpersteins unterstützte. Der Stolperstein für Josef August Senge sei ein Bestandteil des Erinnerns und Gedenkens vor Ort, unterstrich sie – aber er sei keinesfalls ein Abschluss: „Die Stolpersteine sind vielmehr eine fortwährende Aufgabe für die gesamte Stadtgesellschaft – ebenso wie die Wachsamkeit und die Bereitschaft, dem Hass, der Verachtung und der Verfolgung, die während der NS-Zeit allgegenwärtig waren, entgegenzutreten.“

An der Zeremonie nahmen auch Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer des Gymnasiums der Stadt Meschede teil, stellvertretend für andere Schulen, die sich mit dem Thema Stolpersteine intensiv auseinandersetzen. Sie übernehmen die Patenschaft für alle Stolpersteine im Stadtgebiet, sorgen dafür, dass die Steine ihren Glanz behalten und so die Erinnerung wach bleibt. „Unserer Schule ist das Thema sehr wichtig, darum haben wir uns zu diesem Engagement entschlossen“, betonte Lehrer Steffen Röhner.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(Quelle: Stadt Meschede)