Abschied von Ostpreußen – Reise nach Kaliningrad

FdV-Begegnungsabend am 26.03.2013

Eine unvollständige Zusammenfassung der Geschichte Ostpreußens

Der Historiker Andreas Kossert schreibt in seinem Buch „Ostpreußen – Geschichte und Mythos“: „Preußens Ursprünge sind von Mythen umrankt“. Erst ab dem Jahr 1225, nachdem die Landnahme durch den Deutschen Orden erfolgte, gebe es historische Quellen.

Der Name „Ostpreußen“ geht auf das baltische Volk der Prußen zurück. Sie waren die ursprünglichen Bewohner dieser Region. Kultur und Sprache der Prußen sind untergegangen. Nach jüngeren Forschungsergebnissen sollen sie sich mit den neuen Siedlern vermischt haben. Wie viele Prußen Opfer der Missionierungsanstrengungen des Ritterordens geworden sind, das liegt im Dunkel der Geschichte.

1255 legte der Ritterorden oberhalb der Mündung des Flusses Pregel eine Ordensburg an. Sie wurde Königsberg genannt. Um die Burg entstanden verschiedene Siedlungen. Viele weitere Ordensburg- und Stadtgründungen an der Ostsee bis hoch ins Baltikum gehen auf den Deutschen Ritterorden zurück, z.B. Thorn an der Weichsel, Elbing im Ermland, Marienburg an der Nogat und Cesis in Lettland.

Dreihundert Jahre dominierte der Deutsche Orden das frühere Siedlungsgebiet der Prußen. 1410 brachte die Schlacht bei Tannenberg, die Polen nennen sie Schlacht bei Grunwald, den Ordensrittern eine große Niederlage ein. Historiker sind sich größtenteils einig, die verlorene Schlacht hat den Niedergang des Deutschen Ordens eingeläutet.

Seit 1466 stand Preußen unter der Lehnsherrschaft der polnischen Krone. 1525, unter dem Landesherrn Albrecht von Brandenburg-Ansbach, wurde es zum ersten protestantischen Land der Welt. Herzog Albrecht, er war der letzte Hochmeister des Ordens, hatte den Ordensstaat in ein weltliches Herzogtum umgewandelt. Das gute preußisch-polnische Verhältnis und viel Toleranz auf allen Seiten brachte unter seiner Regierung der Region eine lange, friedliche Zeit. Die Sprachenvielfalt – polnisch, litauisch, prußisch, deutsch – veranlasste den Herzog, auch einen Katechismus in prußischer Sprache in Auftrag zu geben.

Große Landesteile Ostpreußens waren auch unter Herzog Albrecht und seinen Nachfolgern noch dünn besiedelt, vor allem der nordöstliche Bereich, der auch Kleinlitauen oder Preußisch Litauen genannt wurde. Die ländlichen Gebiete von Preußisch Litauen bevölkerten hauptsächlich Menschen litauischer Herkunft. Ihre Familiennamen lassen sich auch heute noch gut zuordnen, wie z.B. die Namen Adomeit, Endrokat, Kallweit und Lenertat.

Nach dem Krieg von1656/57, einem Tartareneinfall und der großen Pest von 1709 bis 1711, der die Bevölkerung großer Landstriche, vor allem in Preußisch Litauen, nahezu vollständig zum Opfer fiel, war das Land fast menschenleer. Der preußische König Friedrich Wilhelm I. warb um Neusiedler, denen er kostenlos Land zur Verfügung stellte. Des Königs Ruf folgten vor allem zahlreiche Glaubensflüchtlinge, u.a. Mennoniten aus den Niederlanden, Hugenotten, französisch und deutsch sprechende Schweizer Kalvinisten, Salzburger Protestanten, Halberstädter, Magdeburger, Pfälzer, Hessen, Siegerländer sowie Flamen, Wallonen, Schotten und Engländer. Im Kirchspiel Judtschen in der Nähe von Gumbinnen ließ sich der größte Teil der französisch sprechenden Einwanderer aus der Schweiz nieder. 1714 entstand dort ein französisches Pfarramt. In Gumbinnen erfolgte die Gründung einer französisch-reformierten Gemeinde. Ostpreußen war damit mehrsprachig und multiethnisch, was auch die Notwendigkeit mit sich brachte, den Schulunterricht vielerorts lange Jahre neben Deutsch auch in Litauisch oder Polnisch durchzuführen.

Europaweit besondere Beachtung fanden die Auswandererzüge der Salzburger Protestanten. Im Jahr 1732 verließen an die 20.000 Salzburger Glaubensflüchtlinge Heimat und Höfe. Der Grund war die unablässige Drangsalierung durch den Salzburger Erzbischof Firmian und dessen Ausweisungserlass von 1731. Ca. 15.000 Protestanten aus Goldegg, Saalfelden, Radstadt an der Enns und vielen anderen Orten im Erzbistum Salzburg, machten sich in 16 geordneten Zügen mit unterschiedlichen Routen auf den weiten Fußmarsch über Berlin nach Ostpreußen. Andere versuchten ihr Glück in Nordamerika oder in den Niederlanden. Die Salzburger siedelten in Ostpreußen zumeist im Raum Gumbinnen. Die Familiennamen der Immigranten sind vollständig dokumentiert, wie z.B. die Namen Brandstätter, Hofer, Turner und Wenger. Goethe setzte den Salzburger Exulanten mit seinem Werk „Hermann und Dorothea“ eine Art Denkmal.

Ostpreußen blieb lange Zeit bäuerlich geprägt. Dank des Zuzugs und einiger Reformen der preußischen Könige verbesserten sich die Lebensverhältnisse. Leider blieb das Grenzland aber nicht von neuen Kriegen verschont. Schlachten und marodierende Truppen brachten immer wieder Tod und neue Hungersnöte mit sich. 1806 besetzte Napoleon Preußen. Nach den Befreiungskriegen von 1813/15 wurde die Souveränität Preußens wieder hergestellt.

Ostpreußen und vor allem die Metropole Königsberg standen lange Zeit für Liberalismus und Aufklärung. Der bedeutende Philosoph Immanuel Kant (1724 – 1804) lehrte an der Universität in Königsberg. In der Stadt am Pregel fühlte sich auch die jüdischen Bevölkerung wohl. Das Emanzipationsedikt von 1812 gewährte ihnen erstmals das Recht auf freie Niederlassung. Die Zahl der Juden stieg in Königsberg daraufhin stark an, unter ihnen zahlreiche große Persönlichkeiten wie der Fabrikant und Autor David Friedländer (1750 – 1834).

Seit der Reichsgründung 1871 gehörte Ostpreußen zum Deutschen Reich. Der Historiker Andreas Kossert beklagt die dann einsetzende „Germanisierungspolitik“, unter deren Folgen Toleranz und Liberalität zunehmend litten und „Deutschtümelei“ und nationales Denken und Handeln auch in Königsberg verstärkt Einzug hielten.

1914 brachte der Erste Weltkrieg erneut Not und Tod über das Land. Der Kriegsauftakt verlief zunächst verheißungsvoll. Unter Generalfeldmarschall von Hindenburg gewann das deutsche Heer am 28.08.1914 die „neue“ Schlacht bei Tannenberg. Der Sieg wurde später als Sühne für die verlorene Schlacht von 1410 hochstilisiert. Doch der Jubel war bald verklungen. Die Ostpreußen mussten Häuser und Höfe verlassen, um sich vor dem russischen Heer nach Westen zu retten. Nach dem Krieg fanden sie ausgebrannte Städte und Dörfer vor. Die Heimkehrer und Überlebenden fingen größtenteils wieder bei Null an. Zudem verlangte der Versailler Vertrag Gebietsabtretungen. Im Norden Ostpreußens wurde das Memelgebiet abgetrennt; im Westen entstand 1920 der freie Stadtstaat Danzig. Ostpreußen war nun eine Exklave. Der polnische Korridor trennte das Land vom Deutschen Reich.

Trotz der Abtrennung vom Reich und der ungünstigen Randlage prosperierte in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen die Wirtschaft und bescherte vielen Ostpreußen Wohlstand. Die NSDAP hatten auch in dieser entlegenen Provinz großen Zulauf. Der korrupte Gauleiter und spätere Reichsverteidigungskommissar von Ostpreußen, Erich Koch, war bald berühmt, später berüchtigt. 1939, gleich zu Beginn des II. Weltkrieges, wurden Teile Polens Ostpreußen zugeschlagen. In der Wolffschanze bei Rastenburg in Masuren richtete sich die Reichsführung 1941 ihr ebenfalls berühmt berüchtigtes Lagezentrum ein.

Hitlers Tausendjähriges Reich und der II. Weltkrieg brachten weltweit millionenfaches Leid und Tod über die Menschen. Für die Ostpreußen endete die Katastrophe fast ausnahmslos in der endgültigen Vertreibung. Im Winter 1944/45 rückte die Rote Armee ein. Ströme von Flüchtlingstrecks machten sich unter widrigsten Umständen, bei Eisiger Kälte, unter Beschuss und Bombenhagel und mit großen Verlusten auf den Weg Richtung Westen. Verzweifelte Menschen versuchten sich über das zugefrorene Haff zu retten. Andere verließen das umkämpfte Land per Schiff über die Ostsee, wie die Passagiere der untergegangenen Wilhelm Gustloff. Das Kriegsende löste in Europa eine gewaltige Völkerwanderung aus. Seit 1945 ist Ostpreußen Geschichte. Städte und Hunderte Dörfer sind untergegangen. An vielen Stellen an denen früher Höfe und Häuser oder sogar größere Ortschaften standen, wie z.B. das Dorf Willuhnen, finden sich häufig kaum noch Ruinen. Die Natur hat das Land zurück erobert. Geblieben sind reizvolle Flusslandschaften, glasklare Seen und unzählige Störche. Seit Hunderten von Jahren kehren sie immer wieder zurück zu ihren Flüssen und Seen.

Der Norden des früheren Ostpreußens blieb zunächst unter sowjetischer Verwaltung, wie es damals umgangssprachlich hieß, der Süden mit Masuren unter polnischer. Seit dem Ende der UdSSR und der Unabhängigkeit von Litauen gehört das Memelgebiet zur Republik Litauen. Der größere Teil Nordostpreußens ist jetzt eine russische Exklave und heißt Kaliningrad Oblast. Der Name ist dem sowjetischen General Kalinin geschuldet, dem General der Königsberg eroberte; denn nach ihm benannten die Sowjets die spärlichen Überbleibsel der einst so prächtigen Stadt am Pregel. Kalinin ist somit auch der aktuelle Namensgeber der wieder nur sehr dünn besiedelten Region des ehemaligen Nordostpreußens.

Im Kaliningrader Gebiet hat sich vieles verändert. Kaum etwas ist geblieben wie es einst in Ostpreußen war. Aber nicht überall herrscht Tristesse. Es tut sich was in der „Nach-Sowjet-Ära“. Neue Wohnquartiere und schöne Plätze entstehen und zwar nicht nur in der Metropole Kaliningrad, und hier und da werden historische Gebäude rekonstruiert und alte Denkmäler aufpoliert. Das Paradebeispiel ist der Königsberger Dom. Der im Krieg ausgebrannte Backsteinbau wurde in den 1990er Jahren wieder vollständig aufgebaut. Vor dem Grabmal Kants neben dem Dom brennen Kerzen und liegen frische Blumen. Auch Gusew, das ehemalige Gumbinnen, ist wieder ein recht ansehnliches Städtchen. Doch von Judtschen, dem Ort, in dem einst viele französisch sprechende Schweizer siedelten und Immanuel Kant einige Jahre als Schulmeister lebte und lehrte, sind leider nur noch Fragmente vorhanden und ein paar unansehnliche Nachkriegsbauten. Der neue Name des Dorfes ist Wessjolowka.

Im Kaliningrad Oblast leben nun seit fast sieben Jahrzehnten überwiegend Menschen russischer Herkunft. Viele Generationen von Kindern wurden geboren und wuchsen heran. Meist sind es aufgeschlossene und freundliche Menschen. Sie sprechen eine andere Sprache, haben eine andere Geschichte und vielleicht auch manch andere Lebensgewohnheiten, Ideen und Vorstellungen. Das Land am Fluss Pregolja ist ihr Zuhause.

Gäste aus Deutschland und aller Welt sind den Kaliningradern herzlich willkommen. Wir waren da und haben die Reise in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dieses einzigartigen Landes nicht bereut. Bestimmt kommen wir bald wieder.

Gabriele Joch-Eren im März 2013