“Mas­si­ves behörd­li­ches Ver­sa­gen auf­ge­deckt” – Update!

17. Februar 2016
von Redaktion

Hoch­sauer­land­kreis. Mede­bach. Arnsberg.

Mit die­sen Wor­ten beschrieb ges­tern in Mede­bach Amts­rich­ter Fischer beim Straf­ver­fah­ren gegen die Mut­ter eines vor zwei Jah­ren an Unter­ernäh­rung und Flüs­sig­keits­man­gel ver­stor­be­nen Klein­kin­des (2 Jah­re) die Rol­le des Kreis­ju­gend­am­tes. Ein wei­te­res Klein­kind (damals knapp 1 Jahr) aus die­ser Fami­lie war stark geschä­digt, hat aber nach Ein­lie­fe­rung in die Kin­der­kli­nik über­lebt und ist mitt­ler­wei­le nor­mal ent­wi­ckelt. Das Ver­fah­ren gegen die Mut­ter des Kin­des ist aber noch nicht zu Ende, son­dern wur­de an das Land­ge­richt Arns­berg ver­wie­sen. Das Amts­ge­richt Mede­bach folg­te damit einem Antrag der Staats­an­walt­schaft Arns­berg. In sei­ner aus­führ­li­chen, 50 Minu­ten dau­ern­den Begrün­dung für den Ver­wei­sungs­be­schluss führ­te Rich­ter Fischer u.a. aus, dass er zunächst von einer fahr­läs­si­gen Tötung aus­ge­gan­gen sei. Im Ver­lauf der vier­tä­gi­gen Haupt­ver­hand­lung habe er jedoch den Ein­druck gewon­nen, dass von einem “beding­ten” Vor­satz der Mut­ter aus­zu­ge­hen sei. Beding­ter Vor­satz bedeu­tet juris­tisch nicht Absicht, son­dern dass die Beschul­dig­te die Fol­gen ihres Tuns hät­te erken­nen müs­sen und sie bil­li­gend in Kauf nah­men. Dar­aus ergibt sich nun die Zustän­dig­keit des Land­ge­richts. Die Aus­sa­gen meh­re­rer Sach­ver­stän­di­ger beleg­ten, dass bei den bei­den klei­nen Kin­dern ein aku­ter Magen-Darm-Infekt auf­ge­tre­ten war, der aber ohne das seit Mona­ten bestehen­de man­geln­de Nah­rungs- und Flüs­sig­keitan­ge­bot eine “Baga­tel­le” gewe­sen wäre.
Außer der Kin­des­mut­ter stand auch das Kreis­ju­gend­amt im Blick des Amts­ge­richts. Das Amt in Mesche­de sei beim Umzug der allein­er­zie­hen­den neun­fa­chen Mut­ter aus dem Vogt­land­kreis in den Raum Win­ter­berg vom frü­her zustän­di­gen Jugend­amt Plau­en detail­liert und vor­bild­lich über die Defi­zi­te in der Fami­lie infor­miert wor­den, etwa 8 Mona­te vor dem Tod des Kin­des. U.a. stand in den Mit­tei­lun­gen, dass alle 9 Kin­der Ernäh­rungs­män­gel auf­wie­sen und die Woh­nung ver­müllt gewe­sen war. Auch in ande­ren Berei­chen bestand erheb­li­cher Hand­lungs­be­darf. Die­se Infor­ma­tio­nen hät­te nach Sozi­al­ge­setz­buch Anlass sein müs­sen, dass sich auch am neu­en Wohn­ort meh­re­re Fach­kräf­te des Jugend­am­tes mit der Fami­lie befas­sen (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII: “Wer­den dem Jugend­amt gewich­ti­ge Anhalts­punk­te für die Gefähr­dung des Wohls eines Kin­des oder Jugend­li­chen bekannt, so hat es das Gefähr­dungs­ri­si­ko im Zusam­men­wir­ken meh­re­rer Fach­kräf­te ein­zu­schät­zen”). Doch das Kreis­ju­gend­amt befass­te sich nur mit den Schul­pro­ble­men eines der älte­ren Kin­der, auf Hin­weis aus der Schu­le. Feh­len­de Vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen und extre­me Unter­ernäh­rung der bei­den jüngs­ten Kin­der wur­den bei den Besu­chen, die zudem viel zu sel­ten statt­fan­den, nicht registriert.
Nur weni­ge Infor­ma­tio­nen hat­te auch die Pfle­ge­mut­ter erhal­ten, die das jüngs­te Kind 15 Mona­te lang betreu­te, nach­dem es nach dem Tod ihres klei­nen Bru­ders aus der Her­kunfts­fa­mi­lie genom­men wor­den war. Das Kreis­ju­gend­amt hat­te ihr nur gesagt, dass das Kind zuvor im Kran­ken­haus gewe­sen war, aber kei­ne Infor­ma­tio­nen über die beson­de­re fami­liä­re Situa­ti­on gege­ben. Vor Ort in der Pfle­ge­fa­mi­lie hat auch nie ein Mit­ar­bei­ter des Jugend­am­tes das Kind besucht. Es gab aller­dings häu­fi­ge Tref­fen mit der leib­li­chen Mut­ter in den Räu­men des Jugend­am­tes. Die Pfle­ge­mut­ter konn­te in der Gerichts­ver­hand­lung berich­ten, dass das klei­ne Kind inner­halb etwa eines Jah­res alle Rück­stän­de auf­ge­holt hat und mit nor­ma­lem Gewicht und gutem Ent­wick­lungs­zu­stand in eine ande­re Fami­lie wech­seln konnte.
Kreis­ju­gend­hil­fe­aus­schuss und Kreis­tag, die bei­de für das Kreis­ju­gend­amt zustän­dig sind, wer­den sich nun noch mit der Auf­ar­bei­tung der Ereig­nis­se befas­sen müs­sen. Dabei wird es vor allem dar­um gehen müs­sen, ob es sys­te­ma­ti­sche Feh­ler in der Arbeits­wei­se des Kreis­ju­gend­am­tes gab und/​oder gibt, die abge­stellt wer­den müs­sen. Gab es Fall­be­spre­chun­gen im Team, Unter­stüt­zung für die Sach­be­ar­bei­ter, Auf­trä­ge der Jugend­amts­lei­tung sich um die gesam­te Fami­lie und nicht nur um ein älte­res Kind mit Schul­pro­ble­men zu küm­mern, Kon­trol­le der Hef­te über die kin­der­ärzt­li­chen Vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen, das Ange­bot meh­re­rer par­al­le­ler Hil­fe­for­men, und gab es eine ange­mes­se­ne Aus­wer­tung der vom Jugend­amt aus Westsach­sen ein­ge­gan­ge­nen Berich­te? Wie sehen die Kon­zep­te der Kreis­ju­gend­am­tes für Inter­ven­tio­nen in Kri­sen­fäl­len aus?
PM der Sauer­län­der Bür­ger­lis­te (SBL/FW)