Es war stock­dun­kel – aber echt lecker..

1. Februar 2014
von Redaktion

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Eine Erfahrung, die es in sich hat.  Unvergessen!

Eine Erfah­rung, die es in sich hat. Unvergessen!

P1020324Genuss im Dun­keln. P1010494Ich habe gar nichts gese­hen! Ich kann mei­ne Hand vor Augen nicht erken­nen. Eine ein­drucks­vol­le Rei­se in die Fins­ter­nis. Am eige­nen Leib habe ich erfah­ren, um wie viel inten­si­ver wir Sin­nes­wahr­neh­mun­gen in völ­li­ger Dun­kel­heit emp­fin­den. Ein Erleb­nis der beson­de­ren Art.

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Respekt vor den Men­schen, die mit den Hän­den sehen! Ich wer­de mei­ne Gefüh­le der anfäng­li­chen Unsi­cher­heit und Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit nie­mals ver­ges­sen. Mit wei­te­ren Gäs­ten aus Öster­reich, Tsche­chi­en, Bul­ga­ri­en, Ita­li­en, Däne­mark und Deutsch­land genie­ßen wir ein Abend­essen im Dun­kel­ge­nuss­raum. Ein Spra­chen­ge­wirr: ita­lie­nisch, dänisch, eng­lisch, tsche­chisch, bul­ga­risch, deutsch, ein wil­des Durch­ein­an­der vor der Tür des Dun­kel­re­stau­rants. Der Ein oder Ande­re hat ein Wör­ter­buch in der Hand. Aber was wird uns das nüt­zen, in völ­li­ger Dun­kel­heit? Wir wer­den uns auf unse­re fünf Sin­ne ver­las­sen müs­sen. Also, rein damit in die Hosen­ta­sche und auf geht’s in das klei­ne Abenteuer.

Noch wis­sen wir nicht genau, was uns erwar­tet. Was uns ver­bin­det, ist die Neu­gier auf unser gemein­sa­mes Abend­essen in völ­li­ger Fins­ter­nis. Ob wir das aus­hal­ten? Wie sol­len wir uns ver­stän­di­gen? Wer­den wir eine Spra­che fin­den, in der wir uns unter­hal­ten können?

Wir sind zuver­sicht­lich. Am Ein­gang des Dun­kel­ge­nuss­rau­mes erwar­tet uns Eva Fel­bau­er. Ihren wei­ßen Stock hat sie in der Hand. Sie ist blind, kann nur hell und dun­kelt unter­schei­den – sie wird uns durch den Abend beglei­ten, Spei­sen und Geträn­ke ser­vie­ren. Wir schal­ten unse­re Han­dys aus, neh­men Uhren vom Hand­ge­lenk, damit auch nicht die kleins­te Licht­quel­le in den Raum gelangt. Als Eva Fel­bau­er die Tür hin­ter uns schließt, wirds mit einem Mal stockdunkel.

Gar nichts zu sehen, ist schon sehr unge­wöhn­lich. Nie zuvor habe ich dies so erlebt.

Der Dun­kel­ge­nuss­raum ist ein kom­plett abge­dun­kel­ter Raum, der nicht den kleins­ten Licht­strahl her­ein lässt. Durch eine Licht­schleu­se wer­den wir von blin­den Men­schen an den Tisch geführt und müs­sen uns dort erst ein­mal ori­en­tie­ren: Wie groß wird wohl der Raum sein? Wie sieht er aus? Jedes Geräusch, jede Berüh­rung erle­ben wir plötz­lich viel eindrucksvoller.

„Black is beau­tiful! Gre­at expe­ri­ence!“ höre ich mei­nen Nach­barn Richard. Wir fas­sen mit der rech­ten Hand auf rech­te die Schul­ter des Vor­der­manns und gehen wie an einer Men­schen-Ket­te in die Fins­ter­nis hin­ein. Tas­ten uns an den Tisch her­an, neh­men Platz. Die Fra­ge ist nur: Wer sitzt rechts und links neben mir? Es ist Bern­hard aus Bay­ern und Vera aus Öster­reich. Ich ori­en­tie­re mich an ihren Stim­men. Nicht weit ent­fernt sitzt Jel­a­na aus Bul­ga­ri­en und Hen­ry aus Ita­li­en. Die kom­plet­te Grup­pe tappt im Dun­keln. Schlag­ar­tig wird mir klar: Licht ist Lebens­eli­xier. Sehen ist ein Geschenk! Fins­ter­nis bedeu­tet tota­le Raum­er­fah­rung. Einen Platz in Besitz neh­men, Geräu­sche erfah­ren. Man kann Aller­hand ohne zu sehen! Für uns ist es eine Rei­se in eine unbe­kann­te Welt.

„Wo ist der Apfel­stru­del hin­ge­kom­men? Wo liegt die Gabel. Wer hat die Sup­pe? Wo liegt der Löf­fel?“ Vor­sich­tig tas­ten wir den Tisch ab. Und fin­den tat­säch­lich alles. Auch die Hand des Nach­barn, der eben­falls auf der Suche nach sei­nem Löf­fel ist. „Wo steht mein Bier? Oh, weia. Ein Glas und eine Fla­sche dazu. Wie soll das gelin­gen? Bier ins Glas ein­zu­schüt­ten, ist nicht ganz ein­fach. Eine klei­ne Pfüt­ze rinnt mir über die Hand. Was solls ? Es lie­gen ja Ser­vi­et­ten auf dem Tisch. Aber wo? Wir hören Musik. Lau­ter als gewöhn­lich. Sie durch­dringt die Stock­dun­kel­heit.. Wir reden ein wenig lei­ser. Wer­den besinn­li­cher, nach­denk­li­cher. Trotz­dem haben wir rie­si­gen Spaß. Es ist nicht leicht, gesit­tet mit Mes­ser und Gabel zu essen. Ich benö­ti­ge gele­gent­lich die Fin­ger, um nach­zu­hel­fen. Macht nicht´s. „Was­ser ist zum Waschen da!“, schießt es mir durch den Kopf. Und außer­dem ist es doch total „In” Fin­ger­food zu essen. Hen­ry, aus Däne­mark höre ich plötz­lich in einem Mix aus Deutsch und Eng­lisch sin­nie­ren: „Now I am shu­re: „Man sieht nur mit dem Her­zen gut, das Wesent­li­che ist für die Augen unsicht­bar“. „Yes, it´s true. The­se words from Saint Exy­pery are per­fekt for the­se situa­ti­on. It´s gre­at. I think, he found the­se words after he had visit a dark-restau­rant”, ant­wor­tet Peter aus Tschechien.

Wir haben einen Rie­sen­pass und ver­ste­hen uns alle irgend­wie. Auch wenn nie­mand per­fekt eng­lisch spricht. Eine Völ­ker­ver­stän­di­gung par excel­lence! Die­ses sinn­li­che Erleb­nis ver­bin­det Natio­na­li­tä­ten. Nie­mand hat Berüh­rungs­ängs­te oder Sprach­pro­ble­me. Ganz im Gegen­teil. Wir müs­sen uns berüh­ren, ertas­ten, hel­fen, füh­ren, verstehen.

„Whe­re is my spoon? My soup is always cold. Sor­ry, I have to go to the toi­let­te! But it´s a litt­le pro­blem. Becau­se I don’t find the right way through the dark­ness. Who can help me to find the way?” Wir fin­den uns alle irgend­wie zurecht, auch wenn ich krampf­haft mei­ne Augen auf­rei­ße, in der Hoff­nung, doch noch etwas ent­de­cken zu kön­nen. Schlie­ße ich mei­ne Augen, weil ich sowie­so nichts sehe, ertap­pe ich mich dabei, dass mein Kör­per die­ses Signal als „Start­schuss” zum Ein­ni­cken ver­steht. Also Augen auf!

Die anfäng­li­che Beklem­mung, Ner­vo­si­tät und das leich­te Magen­drü­cken sind schnell ver­schwun­den. Dan­ke an Eva Fel­bau­er und ihr Team, die uns zu die­sem ein­drucks­vol­len Rol­len­tausch ver­hol­fen haben. Sie haben im Dun­kel-Restau­rant ihren fes­ten Arbeits­platz gefun­den. Ein span­nen­des Expe­ri­ment, was inzwi­schen in vie­len Städ­ten auf der gan­zen Welt blin­den Men­schen die Mög­lich­keit gibt, ihren Lebens­un­ter­halt zu verdienen.

Geblie­ben ist unser Respekt vor den Men­schen, die mit den Hän­den sehen! Eva Fehl­bau­er amü­siert sich köst­lich über unse­re krampf­haf­ten Ver­su­che, gesit­tet zu essen und zu trin­ken. Eti­ket­te hin oder her. Ver­schmitzt ruft sie in den Raum „Denkt immer dar­an was, Hen­ry eben sag­te: Man sieht nur mit dem Her­zen gut, das Wesent­li­che ist für die Augen unsichtbar“.

Nach zwei Stun­den ver­las­sen wir das Dun­kel-Restau­rant als Sehen­de. Wir sind tief berührt. Schweig­sa­mer als wir hin­ein­ge­gan­gen sind. Kein kun­ter­bun­tes, euro­päi­sches Stim­men­ge­wirr. Wir schät­zen unser Augen­licht neu.

Eva Fehl­bau­er ver­ab­schie­det sich lachend und bedankt sich für den wun­der­schö­nen Abend mit uns. Sie öff­net die Tür in das Licht, führt uns hin­aus, nimmt ihren wei­ßen Stock und geht zurück in ihre Dunkelheit…