75 Jahre Kriegsende – Zeitzeuge erinnert sich
Die Befreiung Europas durch die Alliierten führte zur bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945. Damit wurde der Zweite Weltkrieg beendet und Deutschland vom blutigen Terrorregime der Nationalsozialisten befreit.
Die Sunderner Sozialdemokraten richten den Blick zurück in eine grausame Vergangenheit, um den Wert von Frieden für unsere Zukunft schätzen zu können.
Bis zu 65 Millionen Menschen – Soldaten und Zivilisten – sind unter fürchterlichen Umständen gewaltsam zu Tode gekommen. Jeden Tag über 30.000 Tote. Jeden Tag wurden mehr Menschen getötet als heute in unserer Stadt leben. Und das über 2000 Tage lang jeden Tag. Millionen flohen aus ihrer Heimat oder wurden vertrieben. Auch auf dem Gebiet der heutigen Stadt Sundern fanden zahllose Menschen den Tod. Fast alle Familien trauerten um ihre im und durch den Krieg getöteten Familienmitglieder. Das rassistische Gedankengut der Nationalsozialisten führte dazu, dass neben Juden, Sinti und Roma auch Sozialdemokraten, Kommunisten, Homosexuelle, pflegebedürftige Behinderte und Christen brutal getötet wurden. Menschen aus Sundern wurden wegen ihrer Religionszugehörigkeit bzw. wegen ihrer politischen Einstellung geächtet, verfolgt und umgebracht.
Sunderns SPD Vorsitzender Lars Dünnebacke im Gespräch mit SPD Mitglied Johannes Tillmann
Im Gespräch mit dem Vorsitzenden des Stadtverbands Lars Dünnebacke erinnert sich Johannes Tillmann (geb. 1934), einer der älteren Mitglieder der SPD Sundern, an das, auch für Sundern dunkelste Kapitel der Geschichte:
Lars Dünnebacke: Johannes, wie hast du die letzten Monate und Wochen des Krieges in Erinnerung?
Gut in meiner Erinnerung geblieben sind die großen, zu Tode verängstigten Menschenmengen, die bei angekündigten und laufenden Luftangriffen, aus den Wohngebieten, zum Schutz in die umliegenden Wälder und in den Bunker im Bereich der Kaiserhöhe liefen. Beim Fliegerangriff auf unsere „Weiße Schule“, die zu diesem Zeitpunkt von Wehrmachtssoldaten belegt war, wurde das Gebäude komplett zerstört und viele Soldaten getötet. Über einen längeren Zeitraum fand dann auch der Schulunterricht im Wald am Luna Park statt. Üblich war es, am 20. April, Hitlers Geburtstag, zum großen Appell auf dem Schulgelände anzutreten. Die Reichsfahne wurde gehisst und alle Schülerinnen und Schüler sangen ein Loblied auf den Führer. Große Teile des Lehrkörpers natürlich in Uniform.
Bei überraschenden Fliegerangriffen hockte ich mehrmals mit Freunden bebend vor Angst in den Büschen der Settmecke. Nachdem dann die Amerikaner in Sundern einmarschiert waren, stand ich dann eines Tages mit vor Angst schlotternde Knie vor einem dunkelhäutigen Soldaten. Zur Überraschung gab es von dem jungen CI feinste amerikanische Schokolade.
Lars Dünnebacke: Was ging in dir vor, als am 8. Mai die Glocken läuteten und die Leute vom Kriegsende, Befreiung und Kapitulation erzählten?
Die Angst war weg. Man konnte sich wieder frei in der Stadt bewegen. Die allgemeine Stimmung wurde besser. Das betteln nach Nahrungsmitteln wurde nach und nach weniger.
Lars Dünnebacke: Wenn du an deine Erlebnisse als junger Bursche während der Kriegsjahre denkst, was waren die unbegreiflichsten und grausamsten Geschehnisse?
In Sundern befanden sich zwei Lager, eins für Zwangsarbeiter und eins für Kriegsgefangene. Es war für mich eine verängstigende Situation zu beobachten, wie sie unter strengster Bewachung zu ihren Arbeitsplätzen geführt wurden. Ein Lagerkommandant wurde zum Ende des Krieges von einem Gefangenen mit einem Stein erschlagen.
Lars Dünnebacke: Wie war die Situation in Sundern, was das Thema „Hitlerjugend“ anbelangt? Konntest du dich dem entziehen?
Einige male habe ich an Zusammenkünften der HJ teilgenommen. Dann hat es mein Vater immer so organisiert bekommen, dass ich zum Zeitpunkt der Treffen zuhause unabkömmlich war. Ich bin ihm heute noch dankbar dafür, dass ich nicht in diesen Strudel hineingezogen wurde.
Lars Dünnebacke: Was hat dazu geführt, dass du dich 1974 der SPD angeschlossen hast?
Nach sehr schlechten Jahren (1945 bis 1947), verbunden mit viel Arbeit auf Bauernhöfen, wurde die Situation ab 1948 deutlich besser. 1948 konnte ich für eine Stockumer Gärtnerei auf dem dortigen jüdischen Friedhof Pflegearbeiten durchführen. Nachkommen der dort Beigesetzten, nach Amerika geflohene Juden, hatten Geld für die Pflege des Friedhofes nach Stockum geschickt. Hierdurch wurde ich auf das grausame Schicksal der millionenfach ermordeten Juden aufmerksam.
Die 1950er und 1960er Jahre waren geprägt vom wirtschaftlichen Fortschritt und dem Beginn des Kalten Krieges. Die Friedenspolitik Willy Brandts und die SPD vor Ort haben mir gezeigt, da passt du hin. So bin ich 1974 Mitglied bei den Sozialdemokraten geworden und habe mich rund 25 Jahre aktiv in die Kommunalpolitik eingemischt.
Heute bin ich froh und glücklich darüber, dass ich jetzt nun schon 75 Jahre meines Lebens in Frieden und Freiheit führen kann. 75 Jahre Frieden in Deutschland und Europa, ein Zeitraum ohne Krieg, den es selten auf der Welt gibt.
Besonders für uns als junge Generation, so der Vorsitzende der Sunderner Sozialdemokraten, die noch nie einen Krieg hautnah erlebt hat, sind die Berichte von Zeitzeugen sehr wichtig und eindrucksvoll. Sie zeigen uns doch deutlich: Nur ein starkes und vereintes Europa kann der Schlüssel zum stetigen Frieden sein. Wir als Sozialdemokraten setzen uns dafür ein, dass wir durch Dialog und Völkerverständigung einen sicheren Frieden schaffen. Das Ziel ist klar: Nie wieder Krieg!
Politische Vita Johannes Tillman, geb. 1934
Seit 1974 kommunalpolitisch tätig. Sachkundiger Bürger bis 1979.
Von 1979 bis 1999 Mitglied im Rat der Stadt Sundern.
Von 1984 bis 1999 1. Stellvertretender Bürgermeister in Sundern