Sol­len Bri­lo­ner Schü­ler vom Besuch der Upland­schu­le abge­hal­ten werden?

28. Januar 2013
von Redaktion

Bri­lon (Hoch­sauer­land) Seit Som­mer 2011 besucht Vic­to­ria aus Bri­lon die Upland­schu­le in Wil­lin­gen. Die pri­va­te Real­schu­le in Bri­lon kam für sie nicht in Fra­ge, so dass sie und ihre Mut­ter die Gesamt­schu­le in Wil­lin­gen aus­wähl­ten. Vic­to­ria ist damit eine von mehr als 100 Schü­le­rin­nen und Schü­lern, die jeden Tag aus der Stadt Bri­lon zur Upland­schu­le über die hes­si­sche Lan­des­gren­ze ins benach­bar­te Wil­lin­gen fahren.

Nach­dem zu Beginn des lau­fen­den Schul­jah­res 20 neue Gesamt­schu­len in NRW ihre Tätig­keit auf­nah­men und 33 wei­te­re Gesamt­schu­len für den Som­mer 2013 bean­tragt wur­den, ist der Hoch­sauer­land­kreis der ein­zi­ge aller 53 Krei­se in NRW ohne Gesamt­schu­le. Schü­le­rin­nen und Schü­ler aus dem HSK, die eine Gesamt­schu­le besu­chen wol­len, müs­sen daher in einen ande­ren Kreis pen­deln. Die nächs­ten Gesamt­schu­len inner­halb von NRW befin­den sich in Pader­born, Soest und Lipp­stadt. Da liegt Wil­lin­gen von Bri­lon aus viel näher. Hin­zu kommt, dass die Upland­schu­le ab Som­mer für die Klas­sen 5, 6 und 7 wie­der vom Abitur nach 8 Jah­ren auf das Abitur nach 9 Jah­ren umstei­gen wird. Da G8 bei vie­len Eltern und Schü­lern sehr unbe­liebt ist, könn­te sich dadurch die Attrak­ti­vi­tät der Upland­schu­le wei­ter erhöhen.

Wegen der gro­ßen Zahl von Schul­pend­lern aus Bri­lon nach Wil­lin­gen wur­den in den letz­ten Jah­ren zwei Schul­bus­se ein­ge­rich­tet. Die Kos­ten für die Fahr­kar­ten in den Schul­bus­sen muss­ten die Eltern bis­her nicht tra­gen; sie wur­den von der Stadt Bri­lon bezahlt. Die­se Zusa­ge hat­te die Stadt den Eltern auch für die Zukunft gege­ben, bevor der zwei­te Bus nach Wil­lin­gen star­te­te. Die Kos­ten belas­te­ten aber nicht den städ­ti­schen Haus­halt, denn sie wur­den der Stadt in vol­lem Umfang vom Land NRW erstat­tet. Grund­la­ge ist der sog. Pend­ler­er­lass der Landesregierung.

Das lief über vie­le Jah­re völ­lig pro­blem­los, bis die Stadt­ver­wal­tung erfuhr, dass das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt in Müns­ter im Jahr 2011 ein Urteil zu Schü­ler­fahr­kos­ten gefällt hat­te. Dar­in ging es um Schü­ler, die im Schul­jahr 2007/2008 aus dem Raum Aachen nach Rhein­land-Pfalz pen­del­ten, zu einer Schul­form „Real­schu­le plus”. Das OVG stell­te fest, dass die­se Schul­form damals im Schul­ge­setz des Lan­des NRW nicht vor­ge­se­hen war und die Eltern in die­sem Fall kei­nen Anspruch auf Schü­ler­fahr­kos­ten hatten.

Die­se Ent­schei­dung des OVG nahm der Bür­ger­meis­ter der Stadt Bri­lon zum Anlass, bei der Bezirks­re­gie­rung nach­zu­fra­gen, ob sie auch für die von Bri­lon nach Wil­lin­gen pen­deln­den Schü­le­rin­nen und Schü­ler anwend­bar sei. Dies bestä­tig­te die Bezirks­re­gie­rung und teil­te der Stadt mit, die Eltern soll­ten nur noch bis zum Ende des lau­fen­den Schul­jah­res die Schü­ler­fahr­kos­ten erhal­ten. Eine schrift­li­che Aus­kunft der Bezirks­re­gie­rung erhiel­ten die Eltern aller­dings erst am 19. Janu­ar über die Stadt­ver­wal­tung. Dar­in wur­de dar­auf ver­wie­sen, dass zur Upland­schu­le auch ein Grund­schul­zweig gehö­re und die Upland­schu­le daher als Schul­form weder im NRW-Schul­ge­setz noch im hes­si­schen Schul­ge­setz vor­ge­se­hen sei.

Bezirks­re­gie­rung und Stadt­ver­wal­tung argu­men­tie­ren auch, dass es sich bei der Upland­schu­le um eine „koope­ra­ti­ve” Gesamt­schu­le han­de­le; im NRW-Schul­ge­setz sei aber nur die „inte­grier­te” Gesamt­schu­le vor­ge­se­hen. Das kön­nen die Eltern und die BBL nicht nach­voll­zie­hen, denn im NRW-Schul­ge­setz ist nur die Rede von Gesamt­schu­le, ohne Dif­fe­ren­zie­rung. Und sie ken­nen auch Schu­len in NRW, zu denen sowohl die Sekun­dar­stu­fe I und als auch die Grund­schu­le gehören.

Die Strei­chung der Schü­ler­fa­shr­kos­ten hät­te für die Eltern erheb­li­che Kon­se­quen­zen. Aus eini­gen Bri­lo­ner Fami­li­en gehen sogar 2 oder 3 Kin­der zur Upland­schu­le. Pro Kind und Schul­jahr ent­ste­hen Fahr­kos­ten von etwa 1.000 Euro. Vie­le Eltern wol­len sich daher nicht mit damit abfin­den, dass nun sehr hohe Schü­ler­fahr­kos­ten auf sie zukom­men kön­nen. Sie bezwei­feln die Aus­künf­te der Bezirks­re­gie­rung und der Stadt. Sie stell­ten kon­kre­te Anträ­ge an die Stadt Bri­lon, dass die Schü­ler­fahr­kos­ten für ihre Kin­der wei­ter­hin über­nom­men wer­den sol­len. Von der Stadt­ver­wal­tung erhiel­ten sie dar­auf­hin einen Zwi­schen­be­scheid, dass die Ableh­nung ihres Antrags beab­sich­tigt sei.

Die Rats­frak­ti­on der Bri­lo­ner Bür­ger­lis­te (BBL) unter­stützt die betrof­fe­nen Eltern. Solan­ge es in Bri­lon oder Umge­bung kei­ne Gesamt­schu­le gebe, sei es selbst­ver­ständ­lich, dass die Eltern ihre Kin­der unter zumut­ba­ren Bedin­gun­gen zur Upland­schu­le nach Wil­lin­gen fah­ren las­sen könn­ten. Wenn die Kin­der zu einer Gesamt­schu­le in NRW fah­ren wür­den, wür­den ihnen die Fahr­kos­ten selbst­ver­ständ­lich in vol­lem Umfang erstat­tet. War­um dann nicht für den Weg nach Wil­lin­gen? Zumal vie­le der Fami­li­en ihre Schul­wahl­ent­schei­dung unter den bis­he­ri­gen Gege­ben­hei­ten getrof­fen haben. Eine Alter­na­ti­ve für die Zukunft wäre z.B. die Grün­dung einer Gesamt­schu­le in Bri­lon, aber dafür ist bis­her im Rat kei­ne Mehr­heit erkenn­bar. Die BBL muss­te sogar die Erfah­rung machen, dass bereits in den Jah­ren zuvor in Gre­mi­en der Stadt dar­über dis­ku­tiert wur­de, ob man durch Abschaf­fung der Schul­bus­se mehr Schü­ler in Bri­lon hal­ten könnte.

Die Mut­ter von Vic­to­ria, Mela­nie Adamc­zyk, selbst Mit­glied der BBL, stell­te in der Ein­woh­ner­fra­ge­stun­de der Rats­sit­zung am 24. Janu­ar meh­re­re Fra­gen an den Bür­ger­meis­ter. Sie woll­te z.B. wis­sen, ob denn auch die Abschlüs­se rechts­wid­rig sei­en, wenn – wie die Ver­wal­tun­gen behaup­ten – die Upland­schu­le weder nach NRW- noch nach hes­si­schem Schul­ge­setz aner­kannt sei. Dies sei inkon­se­quent. Dar­in aber sah der Bür­ger­meis­ter kein Pro­blem. Mela­nie Adamc­zyk woll­te wei­ter­hin wis­sen, war­um die Stadt vor­ge­prescht und von sich aus wegen der Strei­chung der Fahr­kos­ten bei der Bezirks­re­gie­rung vor­stel­lig gewor­den sei. Der Bür­ger­meis­ter erklär­te dazu, dass weder er noch die ande­ren zustän­di­gen Mit­ar­bei­ter für die Kos­ten haf­ten woll­ten. Aber die­se Ant­wor­ten hel­fen den Fami­li­en nicht weiter.

Wahr­schein­lich wird den betrof­fe­nen Eltern nichts ande­res übrig blei­ben als den Kla­ge­weg zu beschrei­ten. Das aber kann sehr lan­ge dau­ern. Dabei kann das Land NRW viel Geld spa­ren, wenn es wei­ter­hin die Schü­ler­fahr­kos­ten nach Wil­lin­gen finan­ziert. Denn für jedes in NRW zur Schu­le gehen­des Kind fal­len pro Schul­jahr etwa 4.000 Euro Kos­ten für Leh­rer an, viel mehr als für die Fahr­kos­ten nach Hessen.

Der Rat der Stadt Bri­lon hat sich mitt­ler­wei­le einem Antrag der BBL ange­schlos­sen, mit dem die Stadt­ver­wal­tung auf­ge­for­dert wird, die betrof­fe­nen Eltern bei der Durch­set­zung ihrer Inter­es­sen zu unter­stüt­zen. Aber auch die­ser Beschluss hat bereits meh­re­re Mona­te gedau­ert. Und kon­kre­te Lösungs­an­sät­ze sind bis­her nicht erkenn­bar. Für die Eltern drängt die Zeit. Sol­len sie ihre Kin­der wegen des Fahr­kos­ten­ri­si­kos jetzt zu einer Schu­le in  Bri­lon ummel­den oder dar­auf hof­fen, dass sich doch noch eine posi­ti­ve Lösung findet?

Mela­nie Adamc­zyk hofft nicht nur auf die Lokal­po­li­tik. Sie hat sich außer­dem mit einer Peti­ti­on an den Peti­ti­ons­aus­schuss des Land­tags gewandt. Auch dort ist die Ange­le­gen­heit in Bearbeitung.