„Krieg ohne Front“ – Eine Aus­stel­lung gegen das Vergessen

23. Januar 2015
von Redaktion

DSC03795Hoch­sauer­land­kreis. Meschede.
Vor 100 Jah­ren über­zog ein sinn­lo­ser, ver­lust­rei­cher Krieg Euro­pa. Der I. Welt­krieg war eine Tra­gö­die. Er brach­te end­los viel Leid und Tod mit sich, auch weit ent­fernt von der Front. Wie vie­le Müt­ter war­te­ten Tag für Tag vol­ler Angst und Hoff­nung auf einen Feld­post-Brief ihres Soh­nes? Wie vie­le Frau­en erhiel­ten statt­des­sen die erschüt­tern­de Nach­richt vom „Hel­den­tod“ ihres Soh­nes oder Ehemannes?

Auch im Sauer­land gehör­ten Todes­nach­rich­ten bald zum All­tag. Ein ein­dring­li­ches Zeit­do­ku­ment sind die „Hei­mat­grü­ße – Nach­rich­ten aus der Hei­mat für unse­re ….. Sol­da­ten“, ver­fasst von den Geist­li­chen der Deka­na­te. Zu die­sen schrei­ber­prob­ten Pries­tern gehör­te auch  Pas­tor Col­le­ge aus Assing­hau­sen. Er bemüh­te sich in allen sei­nen Brie­fen an die an der Front, in Gefan­gen­schaft oder im Laza­rett befind­li­chen „lie­ben Pfarr­kin­der“ um einen hei­te­ren Unter­ton. Doch zwi­schen sei­nen Zei­len lässt sich leicht lesen, dass ihm Fröh­lich­keit und Zuver­sicht sehr schwer gefal­len sind. Das ist ihm nicht zu ver­den­ken, ange­sichts der vie­len trau­ri­gen Ereig­nis­se, über die er in fast jedem sei­ner Brie­fe berich­ten muss­te. Hier ein paar Zei­len aus den Pfingst­grü­ßen 1915 von Pfar­rer College:
„Von unse­ren Assing­häu­sern sind bis heu­te 60 Mann ein­ge­zo­gen, dar­un­ter bei­de Leh­rer; aus Wulme­ring­hau­sen sind 66 Krie­ger fort. …. Daß auch aus unse­ren bei­den Gemein­den eini­ge bra­ve Kame­ra­den im Hel­den­kampf fürs Vater­land gefal­len sind, habt Ihr alle gewiß schon ver­nom­men; aus Assing­hau­sen: Anton Kno­che, Josef Nig­ge­mann und Leh­rer Josef Schüt­te; aus Wulme­ring­hau­sen: Hein­rich Kleff, Hein­rich Jung­mann, Hein­rich Vord­er­wül­be­cke und Fritz Schüt­te. Ehre ihrem Andenken! Ver­misst wer­den Josef Hanf­land und Hein­rich Leon­hardt. In fran­zö­si­scher Gefan­gen­schaft (Mont­lou­con) ist seit Anfang des Krie­ges Josef Birk­höl­zer. Das Eiser­ne Kreuz hat sich Emil Sil­va, das Badi­sche Ver­dienst­kreuz August Wei­ken erworben.“
Aus Pfar­rer Col­le­ges Brie­fen lässt sich eben­so able­sen, wie sich auch für die Zivi­lis­ten Zuhau­se die Lebens­be­din­gun­gen von Kriegs­jahr zu Kriegs­jahr ver­schlech­ter­ten. Die Män­ner fehl­ten an allen Ecken und Kan­ten, zum Bei­spiel bei der Arbeit auf dem Feld; die Ver­sor­gungs­la­ge wur­de immer schlechter.

Hun­dert Jah­re sind seit­dem ver­gan­gen, viel Zeit zu ver­ges­sen. Fast ver­ges­sen sind die unzäh­li­gen Gefal­le­nen und Ver­miss­ten. Eine Aus­nah­me ist da viel­leicht der Maler August Macke aus Mesche­de? Ihm, dem 1914 als 27-jäh­ri­ger Gefal­le­nen, gedach­ten vie­le Men­schen in sei­nem Todes­jahr. Fast ver­ges­sen war auch, dass die Lager­stra­ße in Mesche­de ihren Namen von dem gro­ßen, von 1914 bis 1918 bestehen­den Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger „geerbt“ hat. Fast ver­ges­sen … wenn nicht im Jahr 2014 zwei Klas­sen des Städ­ti­schen Gym­na­si­ums Mesche­de das The­ma „Mesche­de und der I. Welt­krieg“ mit viel Ein­satz und Mühe auf­ge­ar­bei­tet hätten.

Das in der Spar­kas­se in Mesche­de aus­ge­stell­te Ergeb­nis die­ser auf­wän­di­gen Recher­che durf­ten sich die „Freun­de der Völ­ker­be­geg­nung“ (FdV) und etli­che wei­te­re Inter­es­sier­te am 21. Janu­ar 2015 von eini­gen Schü­lern und Leh­rern vor­stel­len und erläu­tern lassen.
Die „Geschichts­for­scher“ des städ­ti­schen Gym­na­si­ums hat­ten zunächst alle Hän­de voll zu tun, um das umfang­rei­che Mate­ri­al zu sich­ten. Denn zu ihrem Erstau­nen wur­den ihnen vie­le alte Uten­si­li­en und Fami­li­en­do­ku­men­te, wie Sol­da­ten-Fotos und Feld­post­brie­fe von Mesche­der Bür­gern zur Ver­fü­gung gestellt. Dann muss­te ein Kon­zept her. Die Devi­se hieß: „Nicht ver­zet­teln“. So kon­zen­trier­ten sich die Schü­le­rin­nen und Schü­ler der Stu­fen Q2 und Q1 zum einen auf Sol­da­ten­schick­sa­le und zum ande­ren auf das Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger im Gali­läa Feld, einem gro­ßen Stück Land, das bis dato dem Graf von West­pha­len gehör­te. Hand­werk­li­che Fähig­kei­ten waren bei den Schü­lern auch sehr gefragt, vor allem für den Plan und den Bau des beein­dru­cken­den Lager-Modells. Sogar die Topo­gra­fie stimmt! Die Bara­cken gehör­ten mit rund 10.000 männ­li­chen Insas­sen, vor­wie­gend Fran­zo­sen, Ita­lie­ner und Rus­sen, zu einem der größ­ten Lager in Deutsch­land, berich­te­ten Leh­rer und Schüler/​innen. Vor allem im Jahr 1914 waren Ver­hält­nis­se für die Gefan­ge­nen sehr schlecht. Sie hät­ten bei­spiels­wei­se so wenig Was­ser bekom­men, dass die Rati­on nicht ein­mal zum trin­ken aus­reich­te, geschwei­ge, für die Kör­per­pfle­ge. 1915 hät­ten dann neu­tra­le Staa­ten wie der Schweiz gegen die­se Zustän­de erfolg­reich inter­ve­niert. Die Ver­hält­nis­se bes­ser­ten sich. Trotz­dem wären dort ca. 2.000 Gefan­ge­ne gestor­ben. Ein Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger sei nicht zu ver­wech­seln mit einem Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger, erklär­te einer der Leh­rer. Die Gefan­ge­nen sei­en hier wohl in ers­ter Linie fest­ge­hal­ten wor­den, um nicht mehr als geg­ne­ri­sche Sol­da­ten ins Kriegs­ge­sche­hen ein­grei­fen zu können.
Noch ein paar Sät­ze zum Grö­ßen­ver­gleich Mesche­de / Lager. Die Stadt Mesche­de war in den Kriegs­jah­ren ein beschau­li­ches Städt­chen mit nur ca. 4.500 Ein­woh­ner. Die Ver­sor­gung der Gefan­ge­nen sei daher ein gro­ßes logis­ti­sches Pro­blem gewe­sen. So hät­te z.B. eigens für das Lager ein Was­ser­turm gebaut wer­den müs­sen. War­um bekam aus­ge­rech­net Mesche­de das Lager? Das sei damals wohl der guten Ver­kehrs­an­bin­dung (Bahn­hof), dem Ruhr­was­ser und der frei­en Flä­chen zu „ver­dan­ken“.

Die FdV-Grup­pe hät­te ger­ne noch lan­ge den Schü­lern und Leh­rern zuge­hört, so span­nend war was sie berich­te­ten. Die Zeit ver­ging im Flu­ge. Und dann war­te­te da noch eine Redak­teu­rin von Radio Sauer­land. Sie hat­te die Ein­la­dung der FdV zum Anlass genom­men, sich a) die Aus­stel­lung anzu­se­hen und b) die Schüler/​innen für einen Radio-Bei­trag zu inter­view­en. So haben die Gym­na­si­as­ten wahr­schein­lich gleich 2 mal Geschich­te geschrieben!?

Maria Hüser bedank­te sich in ihrer Funk­ti­on als FdV-Ver­eins­vor­sit­zen­de mit ein paar klei­nen Auf­merk­sam­kei­ten bei dem aus­kunfts­freu­di­gen Team vom Städ­ti­schen Gymnasium.

Eine per­sön­li­che Anmer­kung der Verfasserin:
In Gedan­ken reis­te ich wäh­rend mei­nes Besuchs der Aus­stel­lung „Krieg ohne Front – der 1. Welt­krieg im Kreis Mesche­de“ weit in den Osten. War­um? August 1914 – da rück­te die rus­si­sche Armee nach Ost­preu­ßen ein. Im Sep­tem­ber 1914 zog sich das Heer vor­rüber­ge­hend über die Gren­ze zurück. Doch die rus­si­schen Befehls­ha­ber woll­ten damals offen­bar Vor­sor­ge tref­fen. Vor­sor­ge inso­fern, die Zahl der poten­ti­el­len geg­ne­ri­schen Sol­da­ten ganz ein­fach und ohne gro­ßen Auf­wand zu ver­rin­gern. Sie nah­men, neben vie­len ande­ren Män­nern jeden Alters und Stan­des, auch mei­nen Urgroß­va­ter Gus­tav Breit­mo­ser aus Stal­lupö­nen als Gefan­ge­nen mit auf ihren lan­gen Marsch Rich­tung Osten. Gus­tav Breit­mo­ser starb im Febru­ar 1918 als Zivil­in­ter­nier­ter in einem Gefan­ge­nen­la­ger in Sibi­ri­en. Das wur­de sei­ner Fami­lie, ich weiß nicht wann und von wem, mit­ge­teilt. Gus­tav wur­de 52 Jahr alt und hin­ter­ließ Frau und 4 Kin­der. Lei­der haben wir kein Foto, kei­nen Brief, gar nichts von ihm … bis auf einen Ver­wal­tungs­be­richt des Krei­ses Stal­lupö­nen aus dem Jahr 1916. In die­sem amt­li­chen Doku­ment berich­tet der Zeit­zeu­ge Albert Eder, über das Gesche­hen in den Kriegs­wir­ren im Som­mer 1914. Albert Eder hat­te Glück. Es gelang ihm aus dem Gefan­ge­nen­zug, in dem auch mein Urgroß­va­ter ohne jeg­li­che Hab­se­lig­kei­ten zu Fuß nach Russ­land mar­schie­ren muss­te, zurück nach Wes­ten zu flie­hen. Gut, dass Albert Eder die­se trau­ri­ge Geschich­te so akri­bisch auf­ge­schrie­ben hat.

Gut, dass sich auch heu­te jun­ge Men­schen für Geschich­te inter­es­sie­ren, recher­chie­ren, und doku­men­tie­ren, auch, wenn die Ereig­nis­se schon 100 Jah­re zurück lie­gen. Hof­fent­lich ler­nen wir, aus der Geschich­te zu lernen!

PM der FdV