Jugend­amts­lei­tung läßt vie­le Fra­gen offen

10. März 2016
von Redaktion

Hoch­sauer­land­kreis. Mesche­de. Winterberg

Am Mitt­woch (09.03.) tag­te der Kreis­ju­gend­hil­fe­aus­schuss (KJHA) fast drei Stun­den lang im Mesche­der Kreis­haus. Das sonst sehr wich­ti­ge The­ma der Fest­le­gung der Kita-Grup­pen für das kom­men­de Kin­der­gar­ten­jahr spiel­te dies­mal nur eine Neben­rol­le. Vor allem ging es um „Maß­nah­men des Kreis­ju­gend­am­tes bei Kin­des­wohl­ge­fähr­dun­gen“. Anlass war der Todes­fall eines zwei­jäh­ri­gen Kin­des aus dem Raum Win­ter­berg, das vor 2 Jah­ren infol­ge von Unter­ernäh­rung und Flüs­sig­keits­man­gel ver­stor­ben war. Sei­ne knapp ein­jäh­ri­ge Schwes­ter war eben­falls schwer geschä­digt wor­den, ist mitt­ler­wei­le aber genesen.
Drei Anträ­ge lagen dem KJHA vor, dar­un­ter einer von der SBL/FW-Frak­ti­on, einen
„Bericht über Siche­rung der Fach­lich­keit des Kreis­ju­gend­amts bei drohender
Gefähr­dung des Kin­des­wohls“ auf die Tages­ord­nung zu nehmen.
Dar­in hieß es:
“Das Kreis­ju­gend­amt (KJA) steht seit Eröff­nung des Straf­ver­fah­rens beim Amtsgericht
Mede­bach gegen die Mut­ter eines vor zwei Jah­ren an Unter­ernäh­rung und Flüs­sig­keits­man­gel ver­stor­be­nen Klein­kin­des im Blick­punkt der Öffent­lich­keit. Das Ver­fah­ren gegen die
Mut­ter ist noch nicht zu Ende. Es wur­de vom Amts­ge­richt Mede­bach an das Landgericht
Arns­berg verwiesen.
In sei­ner Begrün­dung für den Ver­wei­sungs­be­schluss führt das Amts­ge­richt u.a. aus, dass
das Gericht die Schuld nicht allein bei der Kinds­mut­ter sieht, son­dern auch von einem
“mas­si­ven behörd­li­chen Ver­sa­gen” aus­geht. Denn das Kreis­ju­gend­amt in Mesche­de sei
beim Umzug der allein­er­zie­hen­den neun­fa­chen Mut­ter aus dem Vogt­land­kreis in den Raum
Win­ter­berg vom frü­her zustän­di­gen Jugend­amt Plau­en detail­liert und vor­bild­lich über die
Defi­zi­te in der Fami­lie infor­miert wor­den, etwa 8 Mona­te vor dem Tod des Kin­des und der
erheb­li­chen Gefähr­dung eines wei­te­ren Klein­kin­des. U.a. stand in den Mit­tei­lun­gen, dass alle 9 Kin­der der Fami­lie Ernäh­rungs­män­gel auf­wie­sen und die Woh­nung ver­müllt gewe­sen war.
Auch in ande­ren Berei­chen bestand erheb­li­cher Handlungsbedarf.
Die­se Infor­ma­tio­nen hät­ten nach Sozi­al­ge­setz­buch Anlass sein müs­sen, dass sich auch am
neu­en Wohn­ort meh­re­re Fach­kräf­te des Jugend­am­tes mit der Fami­lie befas­sen (§ 8 Abs. 1
Satz 1 SGB VIII: “Wer­den dem Jugend­amt gewich­ti­ge Anhalts­punk­te für die Gefähr­dung des
Wohls eines Kin­des oder Jugend­li­chen bekannt, so hat es das Gefähr­dungs­ri­si­ko im Zu-sam­men­wir­ken meh­re­rer Fach­kräf­te ein­zu­schät­zen”). Doch das Kreis­ju­gend­amt befass­te sich offen­bar nur mit den Schul­pro­ble­men eines der älte­ren Kin­der, auf Hin­weis aus der Schu­le. Feh­len­de Vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen und extre­me Unter­ernäh­rung der bei­den jüngs-ten Kin­der wur­den bei den Besu­chen, die zudem viel zu sel­ten statt­fan­den, offen­sicht­lich nicht registriert.
Die Ver­säum­nis­se sind gra­vie­rend. Wir hal­ten es für unwahr­schein­lich, dass dieses
„mas­si­ve behörd­li­che Ver­sa­gen“ eine Mit­ar­bei­te­rin des KJA allein zu ver­ant­wor­ten hat.
Wich­tig ist es, dass sich der Kreis­ju­gend­hil­fe­aus­schuss mit den Abläu­fen und Kon­zep­ten im
KJA befasst.
Daher bit­ten wir um einen Bericht, in dem u.a. Aus­kunft über fol­gen­de Sach­ver­hal­te gegeben
wer­den sollte:
1. Wel­che fach­li­che Beglei­tung gibt es für die SachbearbeiterInnen?
2. Wie sieht die kol­le­gia­le Fall­be­ra­tung aus?
Wie wird die Ein­be­zie­hung meh­re­rer Fach­kräf­te gemäß § 8 SGB VIII gesichert?
3. Wie erfolgt die Siche­rung der Fach­lich­keit durch die Lei­tung des KJA?
4. In wel­chen Situa­tio­nen gibt es Super­vi­si­on für die SachbearbeiterInnen?
5. Wel­che stan­dar­di­sier­ten Abläu­fe gel­ten bei Kindeswohlgefährdung?
6. Wel­che Fluk­tua­tio­nen gab es bei den Sach­be­ar­bei­te­rIn­nen in den Außen­stel­len in
den letz­ten drei Jahren?
7. Wie ist die Erreich­bar­keit des KJA in Not­fäl­len gesi­chert? Gab es in den letz­ten drei
Jah­ren Situa­tio­nen, in denen das KJA nicht erreich­bar war?
8. Wel­che Infor­ma­tio­nen erhal­ten Pfle­ge­el­tern über ihnen neu zuge­wie­se­ne Pflegekinder,
bei Bereit­schafts­pfle­ge und bei Dauerpflege?
9. Wel­che Infor­ma­tio­nen gibt das KJA an ande­re Jugend­äm­ter wei­ter, wenn gefährdete
Kin­der in deren Zustän­dig­keit wechseln?“
Offen blieb z.B., wie oft tat­säch­lich “kol­le­gia­le Fall­be­ra­tung” statt­fin­det. Die Lei­tung des Jugend­am­tes sprach zwar von Clea­rings, aber sind dar­an auch die ört­li­chen Sach­be­ar­bei­ter betei­ligt? Über die Fall­be­ra­tun­gen wur­de nur berich­tet, dass sie “regel­mä­ßig” statt­fin­den, aber das ist eine sehr unbe­stimm­te Angabe.
Die Erreich­bar­keit des Kreis­ju­gend­am­tes außer­halb der Öff­nungs­zei­ten der Behör­de ist offen­sicht­lich schwie­rig. An Wochen­en­den exis­tiert ein Not­fall­te­le­fon, über das man einen dienst­ha­ben­den Mit­ar­bei­ter des Kreis­ju­gend­amts errei­chen kann. Die Num­mer hat die Lei­stel­le der Feu­er­wehr. Unter der Woche liegt dort nur eine Lis­te mit 5 Han­dy­num­mern vor, aber ob man dann im Bedarfs­fall jeman­den erreicht, ist unge­wiss. Das Kreis­ju­gend­amt behaup­te­te zwar in sei­ner Sit­zungs­vor­la­ge, es sei in den letz­ten Jah­ren nie vor­ge­kom­men, dass es im Fall einer Kin­des­wohl­ge­fähr­dung nicht erreich­bar war. Ein Aus­schuss­mit­glied berich­te­te aber von einem Fall im Sep­tem­ber 2015, als wegen Nicht­er­reich­bar­keit des Kreis­ju­gend­am­tes das (eigent­lich nicht zustän­di­ge) Jugend­amt der Stadt Arns­berg ein­ge­sprun­gen war und ein akut gefähr­de­tes Kind aus einer Woh­nung geholt hatte.
Offen­sicht­lich unter­schied­li­che Wahr­neh­mun­gen bestehen dar­über, was man aus den Infor­ma­tio­nen hät­te machen kön­nen, die das Kreis­ju­gend­amt im Juni 2013 vom Jugend­amt des Vogt­land­krei­ses erhal­ten hat­te, von wo aus die Fami­lie nach Win­ter­berg zuge­zo­gen war, und in wel­cher Inten­si­tät das Kreis­ju­gend­amt dann, wenn eine Gefähr­dung des Kin­des­wohls droht, auf die Ein­hal­tung von Ter­mi­ne für Vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen der Kin­der ach­ten soll und darf.
Dass das Kreis­ju­gend­amt sich vor allem um eines der älte­ren Kin­der und nicht ganz­heit­lich um die Fami­lie geküm­mert hat, wur­de auch aus den Schil­de­run­gen der Amts­lei­tung klar.
Deut­li­che Wor­te fand der Vor­sit­zen­de des KJHA gleich zu Beginn der Sit­zung. Er zeig­te sich sehr ver­wun­dert dar­über, dass er Infor­ma­tio­nen zu die­sem Fall nicht von der Ver­wal­tung des Kreis­ju­gend­am­tes, son­dern aus der Pres­se und ande­ren Quel­len erhal­ten hat­te. Dabei hat der Kreis­ju­gend­hil­fe­aus­schuss eine beson­de­re Stel­lung: Im Gegen­satz zu ande­ren Aus­schüs­sen ist er Teil des Amtes, für das er zustän­dig ist, und muss die Arbeit der haupt­amt­li­chen Mit­ar­bei­te­rIn­nen mit verantworten.
Die Ana­ly­se der Arbeits­wei­se des Kreis­ju­gend­am­tes ist aber noch nicht been­det. Der Land­rat hat sich an das Lan­des­ju­gend­amt gewandt. Es soll die Arbeits­wei­se und die Struk­tur des Kreis­ju­gend­am­tes über­prü­fen und berich­ten, ob das Mesche­der Amt rich­tig auf­ge­stellt ist. Auch der KJHA wird sich danach noch mit dem The­ma befassen.
PM der Sauer­län­der Bür­ger­lis­te (SBL/FW)