Anfrage zu Abschiebungen und “freiwilligen” Ausreisen

Hochsauerlandkreis.

2015, und doch kein Schnee von gestern
„Keine einzige Abschiebung in Arnsberg, diverse im restlichen HSK“, schrieb die Sauerländer Bürgerliste (SBL/FW) am 8. Dezember 2015 auf ihrer Internetseite.

Warum?
Ende 2015 berichteten die Medien häufig über Abschiebungen und Ausreisen von Flüchtlin-gen und Asylbewerbern. Aus einem Beitrag der WP vom 23.11.2015 ging hervor, dass bis zu diesem Zeitpunkt 250 Asylbewerber aus Südwestfalen abgeschoben worden sind.

Immenser Aufwand im HSK?
In dem WP-Bericht war auch die Rede von „niedrigen Abschiebezahlen“ im HSK. Der Pres-sesprecher der Kreisverwaltung wurde mit den Aussagen zitiert, Abschiebungen seien vor allem „personalintensiv“ und „ein immenser Aufwand“. Um eine vierköpfige Familie zum Flughafen zu bringen, benötige man 6 Mitarbeiter der Ausländerbehörde sowie zusätzlich Polizeibeamte.

Wenig Aufwand in Arnsberg?
Im selben Artikel wurde geschildert, dass die Stadt Arnsberg im Jahr 2015 noch keinen einzigen Asylbewerber abgeschoben habe. 56 abgelehnte Asylbewerber hätte die Stadt aber davon überzeugen können „freiwillig“ in ihre Herkunftsländer zurück zu kehren. Arnsberg kooperiere mit der Rückkehrerberatung des Deutschen Roten Kreuzes in Hamm, die Flüchtlingen finanzielle Hilfen und auch Anlaufstellen und Kontakte in der alten Heimat vermittelt. Dadurch wären nach Aussage der Arnsberger Stadtsprecherin die Kosten und der Aufwand einer zwangsweisen Rückführung vermieden worden, schrieb die WP.

Fast eine halbe Ewigkeit
Die Kreistagsfraktion Sauerländer Bürgerliste (SBL/FW) griff das Thema damals sofort auf und wandte sich am 8. Dezember 2015 mit diesen 10 Fragen an Landrat Dr. Karl Schneider:

1. Wie viele Abschiebungen hat die Kreisausländerbehörde 2015 „erfolgreich“ durchgeführt?
2. Wie viele Abschiebeversuche sind in diesem Zeitraum gescheitert? Welche Gründe führ-ten hauptsächlich zum Scheitern?
3. Zu welchen Uhrzeiten wurden die Abschiebungen durchgeführt bzw. versucht?
4. Wie viele Kinder und Jugendliche (unter 18 Jahren) bzw. Heranwachsende (unter 21 Jah-ren) waren von den Abschiebungen betroffen?
5. Wie hoch sind die Kosten für die durchgeführten Abschiebungen? Wie hoch sind die Kos-ten für die (nicht geglückten) Abschiebeversuche?
6. Wie viele Mitarbeiter aus Kreisverwaltung und Kreispolizeibehörde waren bei den Abschie-bungen bzw. Abschiebeversuchen im Einsatz, für welche Dauer?
7. In welche Länder wurden jeweils wie viele Personen abgeschoben? Welches wären die Zielländer bei den nicht “erfolgreichen” Abschiebungsversuchen gewesen?
8. Wie viele Menschen sind 2015 „freiwillig“ aus dem HSK in ihr Herkunftsland oder in ein anderes Land ausgereist?
9. Welche Unterstützung erhalten „freiwillig“ Ausreisende durch den HSK?
10. Kooperiert die Ausländerbehörde des HSK – so wie die Stadt Arnsberg – mit der Rück-kehrerberatung des Deutschen Roten Kreuzes in Hamm oder einer anderen Rückkehrerbe-ratungsstelle oder –organisation? Wenn nein, warum nicht?

…. Dann begann das große Warten ….

Ende April 2017 war es dann soweit. Endlich – also nach fast 1 ½ Jahren – erhielt die SBL/FW Antwort aus dem Kreishaus! Wir möchten niemandem das Schreiben des HSK-Ausländeramts vorenthalten.

Die Antworten komprimiert:
In den Jahren 2015 und 2016 wurden insgesamt 217 Menschen aus dem Bereich des Kreisausländeramts (also ohne Stadt Arnsberg) abgeschoben.

„Freiwillig“ sind aus dem HSK (ohne Stadt Arnsberg) in den Jahren 2016 und 2017 insgesamt 593 Männer, Frauen und Kinder ausgereist.

Ausreise- und Startbeihilfen für „freiwillig“ Ausreisende gewährt der HSK nicht. Er verweist stattdessen auf das Förderprogramm „Starthilfe Plus“, auf die „Internationale Organisation für Migration“ und die örtlichen Sozialämter.

Der HSK kooperiert nicht mit der Rückkehrerberatung des Deutschen Roten Kreuzes.

Unbeantwortet blieben die Fragen nach
• der Zahl der gescheiterten Abschiebeversuche
• der Zahl der abgeschobenen Kinder und Jugendlichen (unter 18 Jahren)
• den Kosten für die durchgeführten Abschiebungen und Abschiebeversuche
• dem Personalaufgebot bei den Abschiebungen (Mitarbeiter des Ausländeramts und der Kreispolizeibehörde)
• wie viele Menschen in welche Länder abgeschoben worden sind bzw., bei einem missglückten Versuch abgeschoben werden sollten

Nicht unterschlagen wollen wir das komplette Schreiben des Hochsauerlandkreises. Hier ist es:

“Sehr geehrter Herr Loos,
ich beziehe mich auf Ihre o.g. Anfrage sowie auf meine Zwischennachricht vom 30.12.2015.

Ihre Anfrage wird wie folgt beantwortet:

Zu Frage 1 – Wie viele Abschiebungen hat die Kreisausländerbehörde 2015 „erfolgreich“ durchgeführt?

Gem. 5 58 Abs. 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ist der Ausländer abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint.

Abgelehnte Asylbewerber werden vom BAMF zur Ausreise ausgefordert. Für den Fall, dass die Personen nicht innerhalb der gesetzten Frist ausreisen, wird ihnen vom BAMF die Abschiebung in den konkret bezeichneten Heimatstaat angedroht.

Wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, wird die ausreisepflichtige Person von der Auslän-derbehörde vorgeladen. Es wird ihr die freiwillige Ausreise, mit einer entsprechenden finanziellen Förderung, die vom jeweiligen Heimatstaat abhängig ist, empfohlen. Wenn die freiwillige Ausreise nicht erfolgt, ist die ausreisepflichtige Personen entsprechend § 58 Abs. 1 AufenthG abzuschieben.

In den Jahren 2015 und 2016 wurden folgende Abschiebungen und Rücküberstellungen im Rahmen des Dublin-Abkommens durchgeführt:
2015: 117
2016: 100

Zu Frage 2 – Wie viele Abschiebeversuche sind in diesem Zeitraum gescheitert? Welche Gründe führten hauptsächlich zum Scheitern?

Die Zahlen können statistisch nicht ausgewertet werden. Folgende Gründe können z.B. zum Scheitern einer Abschiebung führen:

• die Person wird nicht in der Wohnung angetroffen
• tagesaktuell festgestellte Reiseunfähigkeit
• Widerstandshandlungen am Flughafen oder im Flugzeug vor dem Start
• Fluchtversuch mit Eigenverletzung am Flughafen

Zu Frage 3 – Zu welchen Uhrzeiten wurden die Abschiebungen durchgeführt bzw. versucht?

Die Flüge werden von der Zentralstelle für Flugabschiebungen NRW (ZFA) gebucht. Auf die Flugzeiten hat die Ausländerbehörde insoweit keinen Einfluss.

Sammelcharter, z.B. in die Westbalkan-Staaten, werden von der ZFA so geplant, dass im Regelfall eine Abschiebemaßnahme nicht vor 6.00 Uhr begonnen werden muss. Soweit Abschiebungen von Familien mit Kindern früher erfolgen müssen, wird der entsprechende Erlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales NRW beachtet.

Bei Rücküberstellungen in einen anderen EU-Staat im Rahmen des Dublin-Abkommens sind die Flugzeiten von den Vorgaben des aufnehmenden Staates abhängig.

Zu Frage 4 – Wie viele Kinder und Jugendliche (unter 18 Jahren) bzw. Heranwachsende (unter 21 Jahre) waren von den Abschiebungen betroffen?

Die Zahlen lassen sich mit einem vertretbaren Aufwand nicht ermitteln.

Kinder und Jugendliche sind von Abschiebungen nur dann betroffen, wenn die Eltern das Angebot der geförderten freiwilligen Ausreise ausgeschlagen haben.

Zu Frage 5 – Wie hoch sind die Kosten für die durchgeführten Abschiebungen? Wie hoch sind die Kosten für die (nicht geglückten) Abschiebeversuche?

Die Kosten bei den einzelnen Maßnahmen sind von verschiedenen Faktoren abhängig.
Die Gesamtkosten lassen sich mit einem vertretbaren Aufwand nicht ermitteln.

Zu Frage 6 – Wie viele Mitarbeiter aus Kreisverwaltung und Kreispolizeibehörde waren bei den Abschiebungen bzw. Abschiebeversuchen im Einsatz, für welche Dauer?

Entsprechend den Regelungen in Nordrhein-Westfalen sind die Ausländerbehörden für die Durchführung der Abschiebung zuständig. Der Personaleinsatz und die Dauer werden individuell geplant.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden in Einzelfällen von Beamten der Kreispolizeibe-hörde unterstützt, sofern vorab von einer besonderen Gefahrensituation auszugehen ist, z.B. wenn die ausreisepflichtige Person wiederholt wegen Körperverletzung verurteilt wurde oder Widerstandshandlungen bereits vorher angekündigt wurden.

Zu Frage 7 – In welche Länder wurden jeweils wie viele Personen abgeschoben? Welches wären die Zielländer bei den nicht „erfolgreichen“ Abschiebeversuchen gewesen?

Die einzelnen Zahlen lassen sich mit einem vertretbaren Aufwand nicht ermitteln.

Neben den Rücküberstellungen in andere EU-Staaten erfolgten Abschiebungen u.a. nach Afghanistan, Algerien, Armenien, Georgien, Guinea, Kosovo, Mazedonien, Russland, Pakistan, Serbien.

Zu Frage 8 – Wie viele Menschen sind 2015 „freiwillig“ aus dem HSK in ihr Herkunftsland oder in anderes Land ausgereist?

In den Jahren 2015 und 2016 sind ausreisepflichtige Personen wie folgt ihrer Ausreisepflicht nachgekommen und ausgereist:
2015: 190
2016: 403

Zu Frage 9 – Welche Unterstützung erhalten „freiwillig“ Ausreisende durch den HSK?

Seitens des Hochsauerlandkreises werden keine Ausreise- oder Startbeihilfen gewährt.

Freiwillige Ausreisen werden von IOM (Internationale Organisation für Migration) gefördert. Die Förderung umfasst, abhängig vom Heimatland, Reisekosten und Startbeihilfen. I.d.R. wird die Förderung nur einmal gewährt. Personen .die zur erneuten AsylantragstelIung wieder einreisen, sind nicht mehr anspruchsberechtigt.

Daneben gibt es seit dem 01.02.2017 das neue Förderprogramm „Starthilfe Plus“ des Bundes. Das Förderprogramm beinhaltet hinsichtlich der finanziellen Förderung ein Stufensystem.

Für beide Programme sind die Anträge bei den örtlichen Sozialämtern zu stellen.

Zu Frage 10 – Kooperiert die Ausländerbehörde des HSK — so wie Stadt Arnsberg — mit der Rückkehrberatung des Deutschen Roten Kreuzes in Hamm oder einer anderen Rückkehrberatungsstelle oder —organisation? Wenn nein warum nicht?

Mit der Rückkehrberatung des Deutschen Roten Kreuzes arbeitet die Ausländerbehörde nicht zusammen.

Im Rahmen eines Letter of lntent war im Jahr 2014 eine Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Flüchtlingsberatungsstellen im HSK, dem Kommunalen Integrationszentrums und der Ausländerbehörde vereinbart worden. Die FlüchtlingsberatungsstelIen hatten sich auch zu einer Rückkehrberatung verpflichtet. Tatsächlich konnte, so die Mitteilung, dies aber aus personellen Gründen nicht umgesetzt werden.

Wie Sie den Zahlen unter Ziffer 8 entnehmen können, hat sich das hiesige Konzept (Bera-tung durch die Ausländerbehörde, Antragstellung beim örtlichen Sozialamt) bewährt.

Abschließend noch eine Anmerkunq:

Mit der Wortwahl Ihrer Anfrage, wollen Sie offensichtlich die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörde in Frage stellen.

Entsprechend den gesetzlichen Vorschriften ist ein Ausländer, der keine Aufenthaltserlaub-nis hat und auch nicht erhalten kann, zur Ausreise verpflichtet. Kommt der Ausländer der gesetzlichen Ausreisepflicht trotz Empfehlung der Ausländerbehörde freiwillig auszureisen nicht nach, ist er, s. meine Ausführungen zu Ziffer 1, abzuschieben.

Diesen gesetzlichen Auftrag setzen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbe-hörde um. Die Entscheidungen der Ausländerbehörde werden, sofern entsprechende Anträ-ge gestellt werden, durch das VerwaItungsgericht Arnsberg überprüft und auch bestätigt. Seit 2015 musste eine Abschiebung aufgrund einer Entscheidung des VG Arnsberg gestoppt werden. Bei den anderen Abschiebemaßnahmen wurden die Entscheidungen der Auslän-derbehörde vom VG Arnsberg bzw. OVG Münster bestätigt.

Mit freundlichen Grüßen
gez. Dr. Schneider“

Abschließend noch Anmerkungen der SBL und zwar erst mal nur speziell zu minderjährigen Flüchtlingen und Asylbewerbern:

Einige Fragen läßt der HSK ja weiterhin unbeantwortet, u.a. die, wie viele Kinder und Jugendliche aus dem Bereich des Kreisausländeramts abgeschoben worden sind.
Kann oder will uns die Behörde das nicht beantworten? Ist es vielleicht daran begründet, dass sie sich das Ausländeramt bei der Abschiebung Minderjähriger auf dünnem Eis bewegt?
Denn
in solchen Fällen kann Art. 6 GG der Menschenrechtskonvention (Art. 8 EMRK) greifen.
Weil
„eine Abschiebung zum Schutz der Familie und minderjähriger Kinder ausgeschlossen werden kann. Einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kann es dann aus § 25 Abs. 5 AufenthG geben.
Ein Abschiebeverbot folgt dann aus dem Schutz der Familie, Art. 6 GG und der Menschenrechtskonvention (Art. 8 EMRK), so genanntes inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis.“

Im Klartext:
Für minderjährige Kinder abgelehnter Asylbewerber hat der Gesetzgeber – sofern die Kinder gut integriert sind – ein eigenständiges Aufenthaltsrecht geschaffen, mit der Folge, dass auch ihren Eltern eine Duldung gewährt werden muss. Schließlich kann man Minderjährige nicht alleine in Deutschland lassen!

Wäre interessant zu wissen, wie Hochsauerlandkreis diese Regelung umsetzt!?

PM der Sauerländer Bürgerliste (SBL/FW)